Auch ich bin ein Flüchtling – 2. Teil ‚meine Erfahrung als Flüchtlingskind‘

Ich weiss, ich hatte sehr viel Glück!

Nicht viele aus meinem Dorf hatten die Möglichkeit, einfach in die Schweiz fliehen zu können.

Nach meiner Flucht kam ich in die 5 Klasse und zwar in eine reine Deutschklasse. Wir waren ca. 12 Kinder aus verschiedensten Ländern, mit mehr oder weniger guten Sprachkenntnissen. Unser Schulalltag war so aufgebaut, die Sprache schnellstmöglich zu lernen. Die Lehrerinnen waren immer sehr nett und bemüht. Sie haben uns nie das Gefühl gegeben, wir seien nicht willkommen oder wir seien die Anstrengung nicht wert. Im Gegenteil, sie haben uns auch die Schweizer Kultur und verschiedenste Bräuche erklärt.

In der 6 Klasse kam ich in eine normale Grundschulklasse. Ich würde sagen, 90% der Schüler waren Schweizer und ich hatte kein einziges mal das Gefühl, da nicht reinzupassen. In der ersten Woche erklärten mir die Mädchen, wer mit wem eng befreundet ist und stellten sich gegenseitig als ‚Busenfreundin‘ vor. Im ersten Moment habe ich diesen Ausdruck nicht verstanden und habe dann etwas betreten aus der Wäsche geschaut. Das gab eine Runde laute Lacher und ich war aufgenommen. Ende der 6. Klasse stand die grosse Prüfung für die weiterführende Schulen bevor: Real, Sekundarstufe, Gymnasium. Und es war selbstverständlich, dass ich diese Prüfung auch mache, obwohl ich erst seit der 5 Klasse hier in die Schule ging. Niemand sagte, es würde keinen Sinn machen, weil ich erst so kurz hier lebte. Ich habe die Prüfungen bestanden und kam in die Sekundarschule. Meine Lehrer waren toll! Ich bekam keine Sonderbehandlung, aber ich wurde auch nie als Flüchtlingskind abgestempelt und mir wurden nie Steine in den Weg gelegt. Im Französisch hatte ich etwas Mühe, weil ich in dieser Zeit eigentlich noch immer mein Deutsch aufgebaut habe. Nach der Sekundarschule habe ich eine Lehre als Kaufmännische Angestellte angefangen. Mein ic im Nachnamen war zu diesem Zeitpunkt nie ein Hindernis. Nicht ein mal habe ich bewusst Rassismus mir gegenüber gespürt.

Nach der Ausbildung habe ich als Anwaltsassistentin angefangen zu arbeiten. Auch da hatte niemand mit meinem ic ein Problem (ausser, als ich mal als Zeugin ein Protokoll unterzeichnet habe, hat die Gegenpartei vor Gericht behauptet, dass die Zeugin mit ic im Nachnahmen, sowieso kein Deutsch verstanden hätte). Und ein mal, als ich mich für eine Wohnung bewerben wollte. Da sagte mir der ältere Mann am Telefon, dass die Wohnung schon weg sei und als ich auflegen wollte, fragte er noch schnell nach, ob ich denn eine Arbeit hätte. Als ich erwähnte, in welcher Anwaltskanzlei ich arbeite, da war er dann etwas enttäuscht, dass ich nicht in sein ic Bild gepasst habe. Die Wohnung wollte ich dann auch nicht mehr.

Das war meine Erfahrung in den Jahren 1991 bis ca. 2009. Irgendwann fing ich an, den Rassismus deutlich zu spüren. Manchmal gab es sehr unangenehme Situationen, als manche anfingen über die ’scheiss Jugos‘ her zu ziehen und ich daneben stand. Je nach Person fand ich es lustig, nach der ganzen Hasstirade zu erwähnen, dass ich aus Kroatien komme. Meistens hiess es dann, sie hätten mir das nicht angesehen und dass Kroatien ja ein wunderschönes Meer hätte und sie dorthin schon immer gerne in die Ferien gehen wollten. Ähm ja. Wenn es situationsabhängig sehr peinlich wurde, konnte ich manchmal auch meinen Mund halten und wollte diese Personen nicht bloss stellen. Es wäre einfach viel zu peinlich gewesen.

Vor ca. 1.5 Jahren war ich mit meinen Kindern unterwegs und der grosse Sohn hatte ein kroatisches Fussballtrikot an. Wir liefen an einem Jugendlichen vorbei und der murmelte plötzlich ’scheiss Jugo‘ zu meinem, damals 7-jährigen Sohn! Mein, 7-jähriger Sohn, der zu 50% CH Gene und einen CH Nachnahmen hat, wird als ’scheiss Jugo‘ beschimpft, weil seine Mutter vor über 22 Jahren in die Schweiz geflüchtet und geblieben ist! Und ich als eingewanderte, wurde in den letzten 24 Jahren kein einziges mals als ’scheiss Jugo‘ beschimpft! Sowas geht mir einfach nicht in den Kopf.

Wenn ich jetzt so sehe, wie viel Rassismus sich aufbaut und wie viel Hass von allen Seiten auf die neue Flüchtlingswelle bzw. Migranten schwappt, frage ich mich, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich erst jetzt als Flüchtling gekommen wäre.

Ich kann nicht anders. Seit Tagen stelle ich mir folgendes Szenario vor:

In der Schule wäre ich vermutlich gedisst worden und ganz viele Eltern hätten ein Problem damit gehabt, dass Flüchtlingskinder in die Regelklasse zu ihren Kindern kommen. Da könnte ja das Schulniveau darunter leiden.

Das ich als Flüchtlingskind nach 1 Jahr Grundschule die Sekundarschule mache und ihr Kind es ’nur‘ in die Realschule schafft?! Ich kann mir den Aufschrei wegen der Ungerechtigkeit und der Frechheit bildlich vorstellen. Das ich als Flüchtlingskind alles gegeben habe, um schnellstmöglich integriert zu werden, Freunde zu finden, ein neues Leben anzufangen und keineswegs bevorzugt meinen Abschluss gemacht habe, das hätte vermutlich niemanden interessiert. Es wäre so oder so die Schuld des bösen Flüchtlingskindes gewesen. Ich hatte nicht vor, aus meinem alten Leben zu fliehen und nur meine Krücken als Erinnerung mitzunehmen – ich hatte keine andere Wahl!

Dann hat das böse Flüchtlingskind auch noch eine Lehrstelle bekommen.

Das ehemalige Flüchtlingskind nimmt die Jobs weg.

Das ehemalige Flüchtlingskind angelt sich hier einen Mann, der durchaus als gute Partie gelten kann. Wieso nur?!?

Dann wagt es dieser eingeheiratete ’scheiss Jugo‘ auch noch eine teure Krankheit zu bekommen und profitiert vom CH-Gesundheitssystem. Alles Schmarotzer!

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Ich danke meinen Lehrern, die immer an mich als Mensch geglaubt haben!

Ich danke meinen ehemaligen Nachbarn und meinen Arbeitgebern, die mich nie über mein ic definiert haben.

Ich danke den Verwandten meines Mannes, die mich immer mit offenen Armen und ohne Vorurteile aufgenommen haben.

Ich danke allen offenen und menschlichen Schweizern, die keine Vorurteile haben!

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Wenn ich mich so um sehe, denke ich, ich hatte einfach so viel Glück gehabt! Wir sind alle Menschen, die ein geregeltes Leben in einer Gemeinschaft leben wollen. Nicht mehr, nicht weniger.

Seid nett und lasst euch nicht blenden! Danke ❤

PS. auch 24 Jahre nach meiner Flucht, werde ich nervös, wenn ein Flugzeug oder Helikopter, tief über meinem Kopf fliegt. Oder die jährlichen Sirenenkontrollen über 30min. heulen. Ein ganz seltsames Gefühl…

#bloggerfürflüchtlinge ein Spendenaufruf in Deutschland von Moabit hilft

 

3 Gedanken zu „Auch ich bin ein Flüchtling – 2. Teil ‚meine Erfahrung als Flüchtlingskind‘

  1. Pingback: Wohnfragen | Erzähl mal, liebe Katarina von staublos.ch | Fräulein Ordnung

  2. Ich finde es wichtig und richtig und gut, das du das so offen schreibst. Toll das du mich/uns teilhaben lässt. Wir sind alle Menschen, wir sind alle Ausländer, aber Flüchtlinge das sind nur manche und ich ziehe meinen Hut vor jedem Flüchtling der diesen Weg gegangen ist und ihn auch überstanden hat. Ich habe RESPEKT vor meinen Mitmenschen, egal woher sie kommen und wohin sie gehen. Ich wünsche mir viel mehr RESPEKT unter den Menschen und ich wünsche mir TOLERANZ und ein gutes miteinander.

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