Kindern MS erklären

Eltern wissen, wie feinfühlig Kinder sein können. Meine z.B. haben sehr lange Antennen (HSP, unten noch ein Link darüber). Der grosse Sohn behauptet, wir seien noch immer mit einer glitzernden Nabelschnur verbunden. Wenn er in der Nacht aus einem schlechten Traum aufwacht, dann sieht er die glitzern und weiss, dass ich im anderen Zimmer bin.

In der Zeit meiner Diagnosestellung habe ich als erstes den Neurologen gefragt, wie man eigentlich die Kinder informiert. Er fand auch, dass man das Kindern altersgerecht erklären sollte. Nach zwei Arztbesuchen hintereinander waren meine Kinder schon ziemlich seltsam und haben sich sehr auffällig verhalten. So habe ich beschlossen, sie sofort einzuweihen.

Als die Kinder noch kleiner waren, habe ich ihnen bei Erkältungen erklärt, dass sie im Körper kleine Kämpferzellen haben. Diese können sie sich als Bagger vorstellen. Diese Bagger sind sehr fleissig und schaufeln Bakterien und Viren aus dem Körper und so wird man schnell wieder gesund.

Ich habe ihnen dann erklärt, dass einige meiner Bagger kaputt gegangen sind und nicht nur Viren und Bakterien bekämpfen, sondern auch Nervenbahnen. Nervenbahnen sind kleine Autobahnen, die durch den Körper führen und Informationen von unserem Kopf z.B. in den Finger schicken und wir so die Finger bewegen. Meine Bagger sind so kaputt, dass sie versehentlich diese Autobahnen angreifen und kaputt machen. Wenn diese Nervenautobahnen kaputt gehen, dann kann ich vielleicht die Hand nicht gut bewegen. Die kaputten Autobahnen machen sehr müde weil sich die Informationen über langsame Dorfstrassen bewegen müssen und vielleicht auch mal einem Traktor hinterher fahren müssen.

Ich müsse jetzt eine Untersuchung machen und die heisst Lumbalpunktion. Da wird eine lange Nadel in meine Rückenautobahn gesteckt und etwas Flüssigkeit rausgenommen. Diese Rückenautobahn ist sowas wie eine 10-spurige Super-Autobahn. Wenn man einen Tropfen dieser Flüssigkeit unter einem Mikroskop vergrössert, dann kann man die kleinen kaputten Bagger erkennen. Danach kann man Medikamente nehmen, die die kaputten Bagger aussortieren und verhindern, dass die Bagger nicht so viel kaputt machen. Meine Kinder haben mir zugehört und Fragen gestellt. Danach war die Sache erledigt und sie gingen wieder ganz normal spielen.

Nach der Lumbalpunktion wollten sie die Einstichstelle anschauen. Da war aber nur ein kleines Pflaster drauf, also völlig unspektakulär. Sie wollten wissen, ob denn die grosse Nadel weh getan hat und ob ich dabei weinen musste. Ich habe ihnen erklärt, dass der Arzt zuerst mit einer ganz kleinen Nadel die Stelle betäubt hat und ich deshalb die grosse Nadel nicht gespürt habe. Ich musste also nicht weinen, aber etwas Angst hätte ich schon gehabt. Fertig. Sie wussten Bescheid und verhielten sich wieder ganz normal.

Als die Diagnose fest stand und ich mit den täglichen Spritzen angefangen habe, wollten sie unbedingt bei meiner ersten Spritze dabei sein. Die MS-Krankenschwester war ganz begeistert, dass ich die Kinder mit einbezogen habe und kein Geheimnis daraus gemacht habe. Wir haben die Spritze in das Gerät eingefädelt und ich habe es mir auf dem Sofa bequem gemacht. Sie mussten unbedingt daneben stehen weil sie einfach nur sensationsgeil waren. Nach der Spritze haben sie genau beobachtet ob ich denn sicher auch nicht weinen muss. Danach war die Spritze völlig in unserem Alltag intergriert. Manchmal haben sie sich darum gestritten, wer jetzt den Spritzenauslöser drücken darf.

Mir hat es einmal mehr gezeigt, dass man Kindern vieles zutrauen kann. Bei meinen ist es besser, wenn ich sie mit einbeziehe statt etwas zu verheimlichen versuche. Kinder haben so feine Antennen und die spüren, wenn etwas in der Luft liegt. Wenn man sich die Zeit nimmt und ihre Fragen beantwortet, ist es für alle viel angenehmer. Sie sind jetzt übrigens 8 und 5 Jahre alt.

Als ich das Medikament umgestellt habe und wusste, dass mein Immunsystem geschwächt ist, habe ich ihnen erklärt, warum es so wichtig ist, dass sie die Hände waschen wenn sie nach Hause kommen. Es war für sie völlig logisch und die nächsten Tage haben sie sich auch daran gehalten. Irgendwann haben sie das wieder vergessen, aber wenn ich verlangte, dass sie sich die Hände waschen, gab es keine Diskussionen.

Zwischendurch, als ich unter Nebenwirkungen litt, hat sich der grosse Sohn sorgen gemacht. Er hat sich gefragt, ob ich denn an dieser MS sterben könnte. Das war ziemlich schlimm für mich und es hat mich sehr traurig gemacht, dass sich ihre kleinen Kinderseelen solche Sorgen machen müssen. Ich versuche deshalb immer, ihnen diese Angst zu nehmen und möchte eigentlich nicht verheimlichen oder schönreden. Im Sommer, als sie mitbekommen haben, dass mir die Haare ausfallen, haben sie mir eine Kräutermischung gemacht. Diese soll mir bei der MS helfen und auch bei Haarausfall. Diese Empathie rührt mich immer wieder. Meistens habe ich ein schlechtes Gewissen, dass sie eine kranke Mutter haben und manchmal bilde ich mir ein, dass sie kein unbeschwertes Leben haben. Andererseits weiss ich, dass ich mir viel Mühe gebe, dass sie eben doch unbeschwert aufwachsen.

Jedenfalls würde ich es jederzeit wieder so machen. Ich rede mit meinen Kindern und erkläre ihnen was gerade Sache ist. Ich als Kind habe diese heimlichtuerei von den Eltern oder Erwachsenen gehasst! Auch jetzt kann ich es nicht leiden, wenn ich das Gefühl habe, dass da was im Busch ist und ich nicht weiss was es ist.

Fazit: spricht mit euren Kindern und erklärt es ihnen altersgerecht.

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