MS-Rückschlag, Kortison No 4

Heute habe ich nun meine 4te Kortisoninfusion bekommen. So habe ich jetzt 4000ml Kortison, welches mein Körper von der Fussspitze bis in jede Haarfaser durchtränkt.

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Nach der heutigen Dosis hat es mich ziemlich aus der Bahn geworfen. Ich fühle mich sehr unwohl im Körper, bin einerseits völlig k.o. und andererseits bin ich innerlich unfassbar nervös und unruhig. Ich bin heute auch sehr nah am Wasser gebaut und psychisch total aus dem Gleichgewicht. Es kommt mir vor, als ob bei jeder Bewegung das Kortison überschwappt und mich sofort umwirft. Ich bin von Heute auf Morgen ein sentimentales Weichei geworden. Die nächsten 5 Tage werde ich die hohe Dosis langsam mit Kortisontabletten reduzieren und hoffe, dass ich mein Sentimentiblues auch schnell weg bekomme. Das finde ich nämlich am übelsten an der ganzen Situation.

Wenn ich zurückdenke, war vor 4 Tagen mein Leben noch völlig in Ordnung. Bis ich nach der Schulung 5 Anrufe in Abwesenheit von meinem Neuro auf dem Telefon hatte und er um Rückruf bat. Egal wie spät es ist, er hätte das Praxistelefon auf sein Handy umgeleitet. Oh!

In diesen letzten 4 Tagen hat sich mein Mann einige Tage Home Office freigeschaufelt. Das hat mir bei der Kinderorganisation sehr geholfen. Ich wusste, dass er am Mittag sicher zu Hause sein wird und auch den Kindern etwas zu Essen machen wird. Ich musste sie nicht beschäftigen weil sie einfach neben ihm im Büro gespielt haben. Ich musste nicht einkaufen fahren und den Mamadienst übernehmen oder bei Hausaufgaben helfen. Die grosse Entlastung, hat mir so viel bedeutet und doch macht mich sowas auch wahnsinnig. Ich mag dieses Gefühl überhaupt nicht. Ich kann Hilfe manchmal einfach nicht zulassen. Ich fühle mich dann schlecht, weil ich es nicht mag, wenn andere wegen mir in Stress geraten. Ich weiss, dass mein Mann das gerne für mich macht und das für ihn garnicht zur Diskussion steht.

Ich habe dann einfach nur Angst, dass wenn ich mir Schwäche eingestehe, mich dann in dieser Krankheit suhle, dass es dadurch nur umso schlimmer wird. Ich bin eine Kämpfernatur und bemühe mich immer sehr, alles positiv zu sehen und bei jedem Problem sofort eine Lösung zu finden. Jetzt in diesem Moment habe ich einfach nur die Schnauze voll vom Kämpfen und das positive Denken, nervt mich auch. Ich muss es jetzt einfach zulassen und mich auch mal schwach und verletzlich geben, auch wenn ich das über alles hasse. Auch meinen Kindern gegenüber kann ich nicht so tun, als ob alles gut wäre. Ich habe ihnen erklärt wie die Lage ist und wir haben darüber gesprochen. Sie haben Mitleid mit mir wenn sie meine blutunterlaufenen und zerstochenen Arme sehen. Sie werden traurig und mir bricht es dabei das Herz.

Nach diesem Rückschlag weiss ich auch, dass ich eben doch nicht so weiter machen darf wie bisher. Ich habe vieles aus Trotz dieser Krankheit gegenüber gemacht. Ich wollte stark sein und mich nicht davon unterkriegen lassen. Vielleicht habe ich mir zu hohe Ziele gesetzt. Egal, wie auch immer- ich weiss, mein Körper wird sich wieder davon erholen und dann kommt auch mein Gleichgewicht wieder zurück. Ende Oktober werde ich vermutlich mit dem neuen MS-Medikament beginnen.

Ich wäre so gerne weiter ohne Medikamente geblieben weil ich doch mit denen immer auf Kriegsfuss stehe. Vor genau einem Jahr habe ich nach all diesen blöden Nebenwirkungen alle Medikamente abgesetzt. Ich habe mich mit Vitaminen vollgestopft, ich habe auf meine Ernährung geachtet, ich habe so viel Sport gemacht und meinen Vitamin D Spiegel hochgetrieben. Ich habe mich so gut gefühlt und war mit meinem Körper und der MS völlig im Reinen. Ich wollte unbedingt wieder Arbeiten gehen. Jetzt, die 10 Läsionen im Gehirn und eine dazu noch im Rückenmark, das ärgert mich. Es macht mich wütend, dass es so hinterlistig kam. Natürlich habe ich Glück, dass wir das Kontroll-MRI jetzt gemacht haben und diese Läsionen eigentlich noch auf frischer Tat ertappt haben. So wie es scheint, habe ich auch sehr grosses Glück mit der Lage dieser Schäden und kann noch immer laufen und bin nicht blind. Natürlich folgen durch diese Vernarbungen ganz viele Einschränkungen und auf dem MRI blinken diese Läsionen wie billige Weihnachtslichter in meinem Gehirn, aber auch mit diesen werde ich lernen zu leben. Es bleibt mir auch nix anderes übrig, ist einfach nur ungerecht. Ich hätte so gerne gehabt, dass es so bleibt wie es war. Ich habe nicht auf Heilung gehofft, aber ich dachte, mit meinem Einsatz kann es noch etwas länger gut gehen ohne neue Rückschläge. Jetzt ist es aber so und auch das werde ich überstehen, nur habe ich genau in diesem Moment keine Lust darauf. Solange mir mein Körper durch das Kortison fremd ist, werde ich mir diese Schwäche zugestehen und mal nicht so stark sein. Eine neue Aufgabe und für mich ein grosses Stück Lebensschule.

Ich hasse es trotzdem.

PS. Heute kam mein Neuro 5min. wegen Stau zu spät zum Termin. Ich habe schon überlegt, wie lange ich eigentlich anstandshalber warten muss, bevor ich aus dem Treppenhaus verschwinde, mich aus dem Staub mache und mich dann zu Hause verstecke. Leider kam er bevor ich einen Fluchtplan parat hatte…

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